Title
Spaces of Negotiation. European Settlement and Settlers in German East Africa 1900-1914


Author(s)
Söldenwagner, Philippa
Published
München 2006: Martin Meidenbauer
Extent
286 S.
Price
€ 49,90
Reviewed for H-Soz-Kult by
Henning Türk, Universität Duisburg-Essen

Wer im Zusammenhang mit der deutschen Kolonialgeschichte an Siedlungskolonien denkt, kommt wahrscheinlich zuerst auf Deutsch-Südwestafrika – an Deutsch-Ostafrika denkt er wohl erst einmal nicht. Dort gab es nur wenige deutsche Siedler und als deren Zahl langsam anstieg, kam der Erste Weltkrieg und die Kolonie ging an die Briten. Daher haben die Siedler in der bisherigen Forschung zu Deutsch-Ostafrika zumeist nur eine Randrolle gespielt.1 Dass es sich trotz dieser Konstellation lohnen kann, die Lebensweise der Siedler in Deutsch-Ostafrika genauer unter die Lupe zu nehmen, beweist Philippa Söldenwagner in ihrer 2005 an der International University Bremen eingereichten Dissertation.

In ihrer Einleitung definiert Söldenwagner zunächst ihren Gegenstand. Danach versteht sie als Siedler alle Personen, die Land erwarben und sich als unabhängige Landwirte oder Pflanzer niederließen. Diese Personengruppe, am Vorabend des ersten Weltkriegs circa 600 Personen, möchte Philippa Söldenwagner untersuchen, unter anderem um herauszufinden, warum es in Deutsch-Ostafrika zwar Siedler gab, die Kolonie aber nicht in eine Siedlungskolonie transformiert wurde. Als Quellenbasis steht der Autorin überwiegend Aktenmaterial der Kolonialverwaltung zur Verfügung. Dieses wird ergänzt durch zeitgenössische Aufsätze und Erlebnisberichte einiger Siedler sowie Reiseberichte.

Als ersten Zugang zu ihrem Thema wählt Söldenwagner die zeitgenössische Diskussion über eine deutsche Besiedlung der Kolonie Deutsch-Ostafrika im Deutschen Reich und in Deutsch-Ostafrika. Dieser Zugang ist durchaus mit Bedacht gewählt, denn es gelingt Söldenwagner, zwei gegensätzliche Standpunkte aus der Diskussion herauszufiltern, deren Widerstreit die Entwicklung Deutsch-Ostafrikas bis zum ersten Weltkrieg prägte. Auf der einen Seite gab es die Vertreter eines „emigrationist standpoint“ (S. 23), die eine Siedlungskolonie Deutsch-Ostafrika favorisierten und forderten, die deutsche Auswanderung in diese Kolonie zu lenken und auf der anderen Seite gab es die Vertreter des „economic standpoint“ (S. 38), die eine deutsche Besiedlung für wenig sinnvoll erachteten und sich stattdessen von einer Förderung der indigenen Landwirtschaft den ökonomischen Durchbruch für Deutsch-Ostafrika erhofften.2 Dieser Grundkonflikt prägte auch das Verhalten des Kolonialstaates, dessen Protagonisten zwischen der Förderung einer deutschen Besiedelung und der Bevorzugung indigener Agrarproduktion hin und her schwankten.

Im zweiten Kapitel beschreibt Söldenwagner die Einwanderung und die Zusammensetzung der Siedlergruppe. Die ersten Siedler, die sich nach 1900 in Deutsch-Ostafrika niederließen, waren meistens bereits dort Ansässige, z.B. Militärs oder Verwaltungsangestellte. Hinzu kamen Siedlergruppen, die von der Regierung als „Versuchskaninchen“ in Deutsch-Ostafrika angesiedelt wurden. Mit Hilfe dieser Buren und Deutsch-Russen wollte man herausfinden, auf welche Weise eine Besiedlung Deutsch-Ostafrikas vorgenommen werden konnte. Da beide Projekte scheiterten und der Maji-Maji-Krieg 1905/06 deutlich machte, dass man die Bedürfnisse der indigenen Bevölkerung stärker berücksichtigen musste, zog sich der Staat aus der aktiven Förderung der Besiedlung zurück. Paradoxerweise stieg jedoch die Zahl der Siedler ab diesem Zeitpunkt. Für diesen Anstieg macht Söldenwagner die wirtschaftliche Situation in der Kolonie verantwortlich. Sie sieht in dem Ausbau der Eisenbahnen und dem Erfolg des ostafrikanischen Kautschuks pull-Faktoren für eine Ansiedlung in Deutsch-Ostafrika.

Ein entscheidender Aspekt für die Beziehungen zwischen Siedlern, Kolonialregierung und indigener Bevölkerung war der Prozess des Landkaufs, der im Zentrum des dritten Kapitels steht. Potentielle Siedler mussten sich zunächst um das von ihnen auserkorene Land bei der Bezirksverwaltung bewerben. Anschließend wurde eine sogenannte Kronlandverhandlung zwischen einem Verwaltungsbeamten und einem lokalen Chief oder Akiden durchgeführt. Das Grundstück wurde inspiziert und festgestellt, ob irgendwelche Ansprüche auf dieses Land bestanden. War das nicht der Fall, wurde das Land zum Kronland erklärt und konnte anschließend von dem Siedler erworben oder gepachtet werden. Söldenwagner macht deutlich, dass dieser Prozess nicht immer so ablief wie geplant, so wurde die afrikanische Bevölkerung zum Teil von Siedlern im Vorhinein verdrängt oder vertrieben.

Anschließend geht Söldenwagner im vierten Kapitel auf das Siedler- und Pflanzerleben ein. Sie schildert, welche Produkte mit welchen Methoden angebaut wurden und wie der Anbau durch Faktoren wie beispielsweise Infrastruktur, Arbeitskosten oder die Weltmarktentwicklung beeinflusst wurde. Bei der Beschreibung der Lebensweise wird deutlich, dass viele Siedler am Rande des Existenzminimums lebten. Die meisten suchten sich Nebenbeschäftigungen, z.B. im Handwerk, andere nutzten illegale Methoden, um über die Runden zu kommen. Spätestens wenn die Siedler so verwahrlosten, dass sie bei der indigenen Bevölkerung bettelten, griff die Regierung ein. Hier sah man das Ansehen der weißen Kolonialherren in Gefahr und verfrachtete die mittellosen Siedler in ihre Heimat. Der Staat griff aber auch bei der für die Siedler und Pflanzer zentralen Frage der Arbeitskräftebeschaffung ein. Zunächst versuchte man über die Besteuerung und durch Arbeitsgesetze die einheimische Bevölkerung zur Arbeitsaufnahme bei Siedlern und auf Plantagen zu zwingen. Nach der desaströsen Erfahrung des Maji-Maji-Krieges 1905/6 zog sich die Kolonialverwaltung jedoch auch aus diesem Bereich zurück, da man jetzt verstärkt auf einheimische Produktion setzte.

Das fünfte Kapitel behandelt die Beziehungen zwischen Afrikanern und weißen Siedlern. Söldenwagner zeigt hier auf, wie stark darüber gewacht wurde, dass die Grenze zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten nicht verschwamm. So achtete man sehr darauf, dass keine Heiraten zwischen Europäern und Afrikanerinnen zustande kamen, 1906 wurden sie sogar komplett verboten. Die Heirat zwischen weißen Frauen und Afrikanern führte zur sofortigen Deportation. Söldenwagner erkennt zudem im Umgang der Siedler mit der einheimischen Bevölkerung eine „culture of violence“ (S. 196). Die Bestrafung der Afrikaner mit der Nilpferdpeitsche war an der Tagesordnung und die Beleidigung eines Verwaltungsbeamten wurde höher bestraft als die Verletzung eines Afrikaners.

Im letzten Kapitel geht Söldenwagner der Frage nach, ob sich eine „Siedlergemeinschaft“ entwickelt habe. Hier kommt sie eher zu einem negativen Ergebnis. Obwohl sich zunehmend eine Siedleröffentlichkeit über Zeitungen und Lobbygruppen herausgebildet habe, sei die Gruppe der Siedler doch sehr zersplittert gewesen und habe selten an einem Strang gezogen. Deswegen habe man zwar einige Anliegen durchsetzen können. Eine zentrale Gestaltung der Kolonialpolitik in Deutsch-Ostafrika sei aber nicht erreicht worden.

Somit liefert die Arbeit interessante Ergebnisse. Auf der Basis ihrer Untersuchungen stellt Söldenwagner fest, dass Deutsch-Ostafrika weder dem Typus der Siedlungskolonie entsprach, noch dem der Handelskolonie. Der Kolonialstaat sei in seiner Politik zwischen diesen beiden Polen hin und hergeschwankt. Die in diesem Rahmen eröffneten Verhandlungsspielräume versuchten sowohl die deutschen Siedler als auch die afrikanische Bevölkerung für sich zu nutzen. Den Siedlern gelang es dabei nur zum Teil, die politischen Rahmenbedingungen in ihrem Sinne zu beeinflussen. Deutlich wird aber auch, vielleicht beeinflusst durch die Quellenlage, wie stark der Staat versuchte, das Siedlungswesen zu kontrollieren. Die Kolonialverwaltung kontrollierte den Prozess der Landvergabe und wachte darüber, wer das Land zugesprochen bekam. Die Kolonialbeamten begleiteten die wirtschaftliche Entwicklung der Farmen und Plantagen und versuchten, das Sozialverhalten der Siedler durch die Förderung von Siedlerzusammenschlüssen zu beeinflussen. Da diese Maßnahmen jedoch nur zum Teil von der Zentralverwaltung in Dar es Salaam gesteuert werden konnten, bedeuteten sie eine große Machtfülle für die Beamten vor Ort in der Verwaltung der Bezirke. Hier lag das eigentliche Machtzentrum. Von ihrer Einschätzung hing es oftmals ab, ob ein Siedler Land zugesprochen bekam, wie viel Land er bekam, wie man mit den Afrikanern auf diesem Land umging oder ob der Siedler finanzielle Unterstützung bekam. Insofern liefert Söldenwagners Studie nicht nur Erkenntnisse über den Siedlertypus und seinen Alltag in der Kolonie sondern vor allem über die Rolle des Kolonialstaates, sein Selbstverständnis und seine Kontrollmöglichkeiten.

Anmerkungen:
1 Am ausführlichsten wurden die Siedler bisher wohl in Detlef Balds Monographie „Deutsch-Ostafrika 1900-1914. Eine Studie über Verwaltung, Interessengruppen und wirtschaftliche Erschließung, München 1970“ untersucht. Der Schwerpunkt liegt hier auf dem Verhältnis von Siedlern und Verwaltung sowie der verbandspolitischen Organisation der Siedler.
2 Dieser Konflikt lag nicht nur den Auseinandersetzungen um die Kolonie Deutsch-Ostafrika sondern der gesamten deutschen Kolonialpolitik in Afrika zugrunde. Siehe van Laak, Dirk, Imperiale Infrastruktur. Deutsche Planungen für eine Erschließung Afrikas 1880 bis 1960, Paderborn u.a. 2004, S. 118ff.

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